Jahresbericht 2022 Erwachsenenvertretung Patientenanwaltschaft Bewohnervertretung ifs Vorarlberg Institut für Sozialdienste
Jahresbericht 2022 des Vereins ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung 2 Verein ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung Fakten Mitglieder 8 natürliche Personen Andrea Bachmayr-Heyda Dominik Denifl, MA Dr. Maria Feurstein Mag. Dr. Martina Gasser, MBA Mag. Elisabeth Kern Mag. Susanne Wallner Sabine Pfefferkorn Martin Vaplon Zusammensetzung des Vereinsvorstands Mag. Dr. Martina Gasser, MBA, Obfrau Mag. Elisabeth Kern, Obfraustellvertreterin Dominik Denifl, MA, Finanzreferent Dr. Maria Feurstein, Schriftführerin Leitung Mag. Günter Nägele Mag. Christian Fehr, MSc Mag. Regina Anhaus Sitz des Vereins Interpark Focus 40, 6832 Röthis Geschäftsstellen der ifs Erwachsenenvertretung Poststraße 2 / 4, 6850 Dornbirn für die Gerichtsbezirke Bregenz, Dornbirn und Bezau Johannitergasse 6 / 3, 6800 Feldkirch für die Gerichtsbezirke Feldkirch und Bludenz Öffnungszeiten 08:00–12:00, 13:00–16:00 Uhr (Freitag bis 12:00 Uhr) Termine nach Vereinbarung Außenstellen ifs Beratungsstelle Bludenz Klarenbrunnstr. 12, 6700 Bludenz ifs Beratungsstelle Bregenz St.-Anna-Straße 2, 6900 Bregenz Geschäftsstelle der ifs Patientenanwaltschaft Valdunastraße 16, 6830 Rankweil Öffnungszeiten 08:00–16:00 Uhr Termine nach Vereinbarung Geschäftsstelle der ifs Bewohnervertretung Poststraße 2 / 4, 6850 Dornbirn Öffnungszeiten Termine nach Vereinbarung 2 Der Verein Fakten 3 Dem Schutz der Freiheit und Würde verpflichtet Vorwort der Vereinsobfrau 4 ifs Erwachsenenvertretung In Sachen Mensch 14 ifs Patientenanwaltschaft AufRecht durch die Krise 25 ifs Bewohnervertretung Freiheit. Würde. Sicherheit. 35 Wissenswertes Ein Verein – drei Fachbereiche Impressum: Herausgeber, Verleger und Eigentümer: Verein ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung Interpark Focus 40, 6832 Röthis Redaktion: Mag. Regina Anhaus, Mag. Christian Fehr, MSc, Mag. Günter Nägele, lic.phil. Alexandra Breuß Tel.: 05 1755-500, E-Mail: ifs@ifs.at, www.ifs.at Fotos: Nikolaus Walter, Lukas Alton, photocase, Adobe Stock, iStock Grundlayout: atelier stecher Grafische Gestaltung: Mag. Jan Koller April 2023 Inhalt wir helfen weiter
3 Der Verein | Vorwort Dem Schutz der Freiheit und Würde verpflichtet Vorwort der Vereinsobfrau „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So steht es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde. Hiermit wurde vor 75 Jahren der Grundstein für den internationalen Schutz der Menschenrechte gelegt und bis heute ist dieser von zentraler Bedeutung – vor allem in solch unsicheren und emotional herausfordernden Zeiten, wie wir sie derzeit erleben. Teuerung, durch Fachkräftemangel bedingte Anspannungen in der Arbeitswelt, Angriffskrieg auf die Ukraine, Nachwirkungen der CoronaPandemie – unsere Gesellschaft sieht sich mit zahlreichen Herausforderungen und Unwägbarkeiten konfrontiert. Macht sich Verunsicherung breit, so neigen Menschen oftmals dazu, weniger Verständnis für die Schwächeren der Gesellschaft zu zeigen und gleichzeitig restriktive Maßnahmen zu ergreifen, um so für vermeintliche Sicherheit zu sorgen. Dies stellt besonders für Menschen, die nicht selbst für sich und ihre Rechte eintreten können, eine potentielle Gefahr dar. Umso wichtiger ist es, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vereins ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung für den Schutz der Freiheit und Menschenwürde stark machen. Tagtäglich setzen sie sich für die Rechte von Menschen ein, die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, Zwangsmaßnahmen unterliegen oder aufgrund einer kognitiven Beeinträchtigung oder psychischen Krankheit nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr einer Benachteiligung selbständig zu erledigen. Sie vertreten die Interessen der Betroffenen, sichern deren Rechtsschutz und engagieren sich für schonendere Alternativen. Diese umfassenden Vertretungstätigkeiten erfordern ein hohes Maß an juristischem, sozialarbeiterischem, teils auch betriebswirtschaftlichem Fachwissen sowie menschlichem Feingefühl – auch da die Fälle und Problemkonstellationen immer komplexer werden. Es gilt, fachliche und gangbare Lösungen zu finden, dabei stets die Selbstbestimmung und Menschenrechte der Betroffenen im Blick zu haben und für mehr Offenheit und Zugewandtheit zu plädieren. Für diese wertvolle Arbeit und das große Engagement möchte ich als Vereinsobfrau all unseren haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meinen herzlichen Dank aussprechen. Sie verschaffen jenen, die oftmals keine Stimme (mehr) haben, Gehör und machen sich für deren Rechte stark. Abschließend gilt mein Dank unseren Auftraggeber:innen, dem Bundesministerium für Justiz, dem Land Vorarlberg und dem Vorarlberger Sozialfonds. Ohne deren Unterstützung wäre es uns nicht möglich, uns für die Klient:innen einzusetzen. Und auch bei unseren Kooperationspartner:innen, u. a. den Gerichten, dem LKH Rankweil, den Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen, Einrichtungen zur Pflege und Erziehung von Minderjährigen, Einrichtungen der psychosozialen Betreuung, Mobilen Hilfsdiensten und Krankenpflegevereinen möchte ich mich herzlich für die wertschätzende Zusammenarbeit bedanken. ○ Mag.Dr. Martina Gasser, MBA Obfrau des Vereins ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung
4 ifs Erwachsenenvertretung In Sachen Mensch Jahresbericht 2021 Allgemeines Mit dem am 1. Juli 2018 in Kraft getretenen Erwachsenenschutzgesetz wurde die außergerichtliche Begründung von Vertretungsmacht in den Formen der Vorsorgevollmacht, der gewählten und der gesetzlichen Erwachsenenvertretung bei „Registrierungsstellen“ ermöglicht. Seither wenden sich Erwachsene mit einer kognitiven Beeinträchtigung, psychischen Krankheit oder Demenz und ihnen nahestehende Personen an eine solche Registrierungsstelle, an Notar:innen, Rechtsanwält:innen oder in hohem Maße an die ifs Erwachsenenvertretung als Erwachsenenschutz-Verein für Vorarlberg, um ohne Befassung des Gerichts die offizielle Registrierung einer gewählten oder einer gesetzlichen Erwachsenenvertretung im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) durchführen zu lassen. Zuvor war die gesetzliche Vertretung von Erwachsenen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, psychischen Krankheit oder Demenz überwiegend im Rahmen einer vom Gericht bestimmten Sachwalterschaft erfolgt. Dabei hatten zahlreiche Betroffene das für die Einrichtung einer Sachwalterschaft erforderliche Gerichtsverfahren als belastend erlebt. In vielen Fällen verlagerte sich nun die Begründung von Vertretungsmacht für eine gesetzliche Vertretung von den Gerichten zu den Registrierungsstellen. Dieses niederschwellige und meist kostengünstige Instrument der Registrierung im ÖZVV funktioniert in Vorarlberg nicht zuletzt dank der erfreulichen Bereitschaft der Ärzt:innen für Allgemeinmedizin, die erforderlichen ärztlichen Atteste auszustellen, weiterhin ausgezeichnet. Das gesetzliche Ziel der Verlagerung weg vom Gericht zur außergerichtlichen Form der Registrierung wird somit erreicht und dieser Prozess verstärkt sich laufend. Dementsprechend geht die Anzahl der gerichtlichen Erwachsenenvertretungen – ganz im Sinne des Gesetzgebers – laufend und deutlich zurück, während die Anzahl der gewählten und gesetzlichen Erwachsenenvertretungen kontinuierlich steigt. In allen neuen und in vielen bestehenden (gerichtlichen) Erwachsenenvertretungsverfahren hat die ifs Erwachsenenvertretung einen Clearingbericht zu erstatten. Die Erstellung eines solchen Clearingberichts ist in allen neu eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit der Einrichtung einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung erforderlich. Aber auch bei einem Wechsel des Wohnorts gegen den Willen der betroffenen Person oder bei einer wesentlichen Erweiterung des Umfangs der Vertretungsmacht ist ein Clearing notwendig. Des Weiteren bedarf es bei Ablauf der Dreijahresfrist einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung im sogenannten Erneuerungsverfahren eines Clearingberichts. Das Erwachsenenschutzgesetz sieht zudem vor, dass alle zuvor bestehenden Sachwalterschaften ab dem 1. Juli 2018 von Gesetzes wegen – also sozusagen automatisch – in gerichtliche Erwachsenenvertretungen umgewandelt werden. Dabei hat der Gesetzgeber für die Erneuerung dieser „alten Sachwalterschaften“ in den Übergangsbestimmungen eine Frist bis 31. Dezember 2023 eingeräumt. Bei allen bis dahin noch nicht erneuerten „alten Sachwalterschaften“ muss das Gericht bis spätestens 31. Dezember 2023 das Erneuerungsverfahren eröffnen. In all diesen Erneuerungsverfahren haben die Erwachsenenschutz-Vereine ein Erneuerungs-Clearing durchzuführen. Somit stand und steht die ifs Erwachsenenvertretung noch immer vor der umfangreichen Aufgabe, neben den zuvor beschriebenen laufenden Clearingverfahren auch in allen „alten Sachwalterschaften“, von denen in Vorarlberg per 1. Juli 2018 insgesamt 1.980 bestanden, ein ErneuerungsClearing durchzuführen. Dementsprechend war das Jahr 2022 für die ifs Erwachsenenvertretung auch mit einer signifikant gestiegenen Anzahl an Erneuerungs-Clearings verbunden – von 183 Clearingberichten im Erneuerungsverfahren im Jahre 2021 auf 326 im Jahre 2022. Kernaufgabe der ifs Erwachsenenvertretung bleibt natürlich weiterhin die Übernahme der Vertretung jener Menschen, für die sonst niemand als Erwachsenenvertreter:in zur Verfügung stehen würde („Erwachsenenvertretung-Classic“). In diesen Fällen wird der Verein ifs Erwachsenenvertretung selbst als gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt. Bislang war es der ifs Erwachsenenvertretung möglich, diese Aufgabe für alle Personen zu übernehmen, denen keine nahestehende Person zur Verfügung steht oder bei denen nicht überwiegend rechtliche Angelegenheiten (Rechtsanwaltszustän-
5 ifs Erwachsenenvertretung digkeit) zu erledigen sind. Damit war für Vorarlberg auch im Jahre 2022 eine Bedarfsdeckung in der „Erwachsenenvertretung-Classic“ möglich. Aufgrund der deutlichen Zunahme an Clearingaufträgen konnte dieser Bedarf allerdings nur noch mit ausgesprochener Anstrengung gedeckt werden. Unabhängig von dieser mengenmäßigen Herausforderung ist die ifs Erwachsenenvertretung selbstverständlich auch der inhaltlichen Qualität ihrer Arbeit verpflichtet. Die UN-Behindertenrechtskonvention und das Erwachsenenschutzgesetz sind hierfür ein Leitbild. Die ifs Erwachsenenvertretung beachtet und stärkt ganz bewusst die Selbstbestimmung der betroffenen Personen, soweit dies im jeweiligen Falle möglich ist. In all ihren Tätigkeitsbereichen (Erwachsenenvertretung-Classic, Beratung, Clearing und Registrierung) ist die ifs Erwachsenenvertretung deshalb darauf bedacht, nicht notwendige gesetzliche Vertretungen möglichst zu verhindern. Sollte eine gesetzliche Vertretung unvermeidlich sein, so soll diese möglichst in den selbstgewählten Formen der Vorsorgevollmacht oder der gewählten Erwachsenenvertretung erfolgen. Ist die dazu erforderliche Entscheidungsfähigkeit nicht (mehr) gegeben, können nächste Angehörige als gesetzliche Erwachsenenvertreter:innen registriert werden. Folglich kommt eine gerichtliche Erwachsenenvertretung nur noch dann in Frage, wenn eine Erwachsenenvertretung zum Schutz einer betroffenen Person unvermeidlich ist und sich diese Person gegen eine Vertretung ausspricht oder keine Angehörigen oder Nahestehenden hat, die bereit und geeignet sind, die Vertretung zu übernehmen. Somit bleibt die gerichtliche Erwachsenenvertretung das allerletzte Mittel.
Jahresbericht 2022 6 Daten und Fakten Auswertung der Dokumentation – Überblick zu allen Tätigkeitsbereichen Die ifs Erwachsenenvertreter:innen vertraten im Jahr 2022 im Bereich „Erwachsenenvertretung-Classic“ insgesamt 748 Klient:innen und erhielten von den Gerichten 737 (anzunehmende) Clearingaufträge, wobei insgesamt 728 Clearings abgeschlossen wurden. Des Weiteren registrierte die ifs Erwachsenenvertretung die Errichtung von 19 Vorsorgevollmachten, 73 gewählten Erwachsenenvertretungen und 188 gesetzlichen Erwachsenenvertretungen. Zudem führte die ifs Erwachsenenvertretung im Rahmen von Beratungen, Schulungen und Vorträgen zu den Themen gewählte/gesetzliche/ gerichtliche Erwachsenenvertretung und Vorsorgevollmacht insgesamt 877 Beratungen durch und vermittelte in zwei Schulungen Wissen an insgesamt 13 Personen. Gerichtliche Erwachsenenvertretung Zahlenmäßige Veränderungen Im Jahr 2022 vertrat die ifs Erwachsenenvertretung im Rahmen der „Erwachsenenvertretung-Classic“ insgesamt 748 Personen, was im Vergleich zum Vorjahr einer Steigerung um 3,31 Prozent entspricht. Die Zahl der Neuzugänge betrug 93, was wiederum verglichen mit dem Jahr 2021 eine Steigerung um rund 39 Prozent darstellt. Um die hauptberuflichen VereinsErwachsenenvertreter:innen zu entlasten, wurden insgesamt 52 Klient:innen an ehrenamtliche ifs Erwachsenenvertreter:innen, 2 Klient:innen an Angehörige und 4 Personen an Rechtsanwält:innen übergeben. Im Rahmen dieser kapazitätserhaltenden Maßnahmen erfolgten verglichen mit dem Jahr 2021 deutlich mehr Übergaben an ehrenamtliche Erwachsenenvertreter:innen, während die Übergaben an Angehörige und Rechtsanwält:innen keinen wesentlichen Änderungen unterlagen. Eine Einstellung des Verfahrens oder eine Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung konnte in 26 Fällen erreicht werden; dies entspricht gegenüber 2021 einer wünschenswerten Steigerung um rund 73 Prozent. Mit Stichtag 31.12.2022 wurden insgesamt 662 Klient:innen vertreten, davon 277 durch ehrenamtliche Mitarbeiter:innen. Grundsätzlich lehnt die ifs Erwachsenenvertretung alleine aus Kapazitätsgründen keine Fälle ab und kann Gerichtliche EV Bezirksgericht 2021 2022 Bezau 19 20 Bludenz 124 119 Bregenz 160 169 Dornbirn 135 148 Feldkirch 212 203 anderes Gericht 3 3 653 662 * jeweils per 31.12. Erwachsenenvertretung-Classic 2021 2022 Klient:innen insgesamt (01.01. – 31.12.) 724 748 +3,31% gerichtliche Bestellungen (Neuzugänge) 67 93 +38,81% übergeben an Ehrenamtliche 33 52 +57,58% übergeben an Externe 5 7 +40,00% Einstellung/Beendigung 15 26 +73,33% Tod 48 51 +6,25% Betreuungsstellen (Ø) 13,18 13,99* +6,15% Klient:innen pro Arbeitskapazität (Ø) 54,93 53,47 -2,66% Klient:innen per 31.12. 653 662 +1,38% davon Rechtsbeistandschaft im Verfahren 19 23 +21,05% davon Erwachsenenvertretungen hauptberuflich 366 385 +5,19% davon Erwachsenenvertretungen ehrenamtlich 268 277 +3,36% Klient:innen pro bestelltem EA-EV (Ø) 1,85 1,91 +3,24% Betreuungsstellen 13,68 14,24* +4,09% Klient:innen pro Betreuungsstelle (Ø) 47,73 46,49 -2,60% *kurzfristige Erhöhung durch vorgezogene Nachbesetzung, Prozentzahlen gerundet
7 ifs Erwachsenenvertretung somit den Vorarlberger Gerichten ein bedarfsdeckendes Angebot machen. Im Jahr 2022 konnte dieser Grundsatz allerdings nur noch mit großer Anstrengung eingehalten werden. In einigen Fällen mussten die Gerichte hinsichtlich der Übernahme von Erwachsenenvertretungen auch um einige Monate „vertröstet“ werden. Mit 44,24 Prozent (zuletzt erhoben per 01.01.2023) an allen (ständigen) gerichtlichen Erwachsenenvertretungen in Vorarlberg hat die ifs Erwachsenenvertretung im österreichischen Vergleich jedenfalls einen besonders hohen Anteil. Im Rahmen der „Erwachsenenvertretung-Classic“ erfolgte im vergangenen Jahr in 124 Fällen eine Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung. Im Vergleich zum Jahr 2021 (50 Erneuerungen) stellt dies eine beachtliche Steigerung um 148 Prozent dar. In rund 11 Prozent aller von der ifs Erwachsenenvertretung wahrgenommenen Erwachsenenvertretungen (einschließlich Verfahren) musste von den Gerichten ein die Selbstbestimmung am weitesten einschränkender Genehmigungsvorbehalt angeordnet werden. Bezogen auf alle (ständigen) gerichtlichen Erwachsenenvertretungen in Vorarlberg gibt es in 8,01 Prozent der Fälle einen Genehmigungsvorbehalt (zuletzt erhoben per 01.01.2023). Gerichtliche Anfragen auf Übernahme (oder Clearing) Die fünf Vorarlberger Bezirksgerichte übermittelten im Jahr 2022 insgesamt 771 Fälle an die ifs Erwachsenenvertretung und ersuchten diese, entweder direkt die gerichtliche Erwachsenenvertretung zu übernehmen oder ein Clearing durchzuführen. In 6 Fällen erfolgte eine direkte Übernahme, ohne ein Clearing durchzuführen. Klient:innenbezogene Auswertung der Dokumentation der gerichtlichen Erwachsenenvertretung Die Dokumentation umfasst alle Fälle, für die 2022 die ifs Erwachsenenvertretung als gerichtliche Erwachsenenvertreterin bestellt war („Erwachsenenvertretung-Classic“). Die Prozentangaben beziehen sich jeweils auf die Anzahl der betreuten Klient:innen im Berichtsjahr (Gesamtzahl 2022: 748 Klient:innen, Neubestellungen 2022: 93 Klient:innen). Übersicht der Anfragen der Gerichte 2013 bis 2022 Gerichtliche Anfragen 2021 2022 Anfragen insgesamt 668 771 +15,42% Direkte Übernahmen 7 6 -14,29% Direkte Ablehnungen 19 28* +47,37% * in 22 Fällen wegen Ablebens der betroffenen Person
Jahresbericht 2022 8 Altersstruktur in gerichtlicher Erwachsenenvertretung Der Anteil an hochbetagten Klient:innen betrug entgegen häufiger Annahmen lediglich ca. 20 Prozent, weitere 17 Prozent waren zwischen 65 und 74 Jahre alt. Insgesamt 63 Prozent und damit der größte Teil der Klient:innen waren unter 65 Jahre alt. Werden die Neuzugänge gesondert betrachtet, so zeigt sich, dass der Anteil an hochbetagten Klient:innen (ab 75 Jahren) mit rund 34 Prozent deutlich höher war. Geschlechterverteilung Im Bereich „Erwachsenenvertretung-Classic“ vertrat die ifs Erwachsenenvertretung im Berichtsjahr 48 Prozent weibliche und 52 Prozent männliche Klient:innen. Berufstätigkeit Mit 89 Prozent war der Großteil der Personen, für die der Verein ifs Erwachsenenvertretung als gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt ist, nicht berufstätig und ging keiner Erwerbsarbeit nach. Wohnsituation Rund 41 Prozent der von der ifs Erwachsenenvertretung vertretenen Menschen lebten in einem Pflegeheim, einer Einrichtung der Behindertenhilfe oder einer Wohngemeinschaft für psychisch erkrankte Personen. In 17 Prozent der Fälle wohnten Angehörige bzw. Nahestehende, die als unterstützend wahrgenommen werden, im selben Haushalt. Rund 40 Prozent der Betroffenen lebten alleine oder in konflikthaften familiären Situationen. Des Weiteren waren 1,6 Prozent der Klient:innen obdachlos oder unsteten Aufenthalts. Vermögenssituation (Bar- und Liegenschaftsvermögen) 35 Prozent der Klient:innen verfügten über ein Vermögen von mehr als 10.000 Euro . Während bei den Neuzugängen 25 Prozent in einem Ausmaß von über 10.000 Euro verschuldet waren oder sonst in prekären Lebensverhältnissen lebten, war dies bei den von der ifs Erwachsenenvertretung insgesamt vertretenen Klient:innen nur mehr bei 11 Prozent der Fall. Initiative für Bestellung Die Initiative für die Bestellung einer von der ifs Erwachsenenvertretung wahrgenommenen gerichtlichen Erwachsenenvertretung ging in rund 70 Prozent aller Neuzugänge von einer Institution wie einem Pflegeheim, Krankenhaus, Amt (z.B. Bezirkshauptmannschaft, Gemeinde, Gericht), Notariat oder einer professionellen psychosozialen Betreuungseinrichtung aus. Nur mehr bei rund 25 Prozent der Neuzugänge wurden gerichtliche Erwachsenenvertretungen von Angehörigen angeregt. Altersstruktur Gesamtzahl 2022 Zugänge 2022 bis 24 Jahre 27 3,61% 10 10,75% 25 bis 34 Jahre 74 9,89% 4 4,30% 35 bis 44 Jahre 99 13,24% 6 6,45% 45 bis 54 Jahre 115 15,38% 9 9,68% 55 bis 64 Jahre 154 20,59% 17 18,28% 65 bis 74 Jahre 126 16,84% 15 16,13% 75 und darüber 153 20,45% 32 34,41% bis Jahre , bis Jahre , bis Jahre , bis Jahre , bis Jahre , bis Jahre , und darüber ,
9 ifs Erwachsenenvertretung Gründe für Bestellung Eine psychische Erkrankung oder eine Mehrfacherkrankung stellte in rund 58 Prozent der Fälle den Grund für die Einrichtung einer von der ifs Erwachsenenvertretung wahrgenommenen Erwachsenenvertretung dar. In rund 30 Prozent lag eine intellektuell-kognitive Beeinträchtigung der Klient:innen vor, eine diagnostizierte Demenzerkrankung bei rund 12 Prozent. Aufgabenbereiche der gerichtlichen Erwachsenenvertretung In einem Beschluss des zuständigen Bezirksgerichts wird der jeweilige Aufgabenbereich für jede einzelne (ständige) gerichtliche Erwachsenenvertretung bestimmt. Im Jahr 2022 gab es nur noch in 2,82 Prozent aller Fälle eine Erwachsenenvertretung für „alle Angelegenheiten“. Seit Inkrafttreten des Erwachsenenschutzgesetzes darf das Gericht diese Art der Vertretung nicht mehr neu beschließen. Deshalb wird es die Erwachsenenvertretung für „alle Angelegenheiten“ spätestens nach Abschluss der entsprechenden Erneuerungsverfahren nicht mehr geben. Ehrenamtliche oder hauptberufliche Vertretung (einschließlich Verfahren) Per 31.12.2022 wurden 58 Prozent der Klient:innen von hauptberuflichen und 42 Prozent von ehrenamtlichen ifs Erwachsenenvertreter:innen vertreten. Somit stellen die (per 31.12.2022) 145 ehrenamtlichen Erwachsenenvertreter:innen eine ganz wesentliche Stütze der ifs Erwachsenenvertretung dar und gewährleisten eine ganz persönliche Betreuung ihrer Klient:innen. Aufgabenbereiche gerichtliche EV Gesamtzahl 2022 Zugänge 2022 Einzelne Angelegenheit 5 0,70% 0 0% Kreis von Angelegenheiten 685 96,48% 62 100% Alle Angelegenheiten 20 2,82% - - Prozentzahlen gerundet Gründe für Bestellung Gesamtzahl 2022 Zugänge 2022 Demenz 85 12,09% 20 37,04% Kognitive Beeinträchtigung 208 29,59% 13 24,07% Psychische Erkrankung 410 58,32% 21 38,89% Prozentzahlen gerundet Initiative für Bestellung Gesamtzahl 2022 Zugänge 2022 Anregung Institution 537 71,79% 65 69,89% Anregung nahestehende Person 160 21,39% 23 24,73% Eigene Antragstellung 51 6,82% 5 5,38% Prozentzahlen gerundet Vermögenssituation Gesamtzahl 2022 Zugänge 2022 Vermögen ausgeglichen 395 53,67% 43 53,75% Vermögend 259 35,19% 17 21,25% Überschuldet 82 11,14% 20 25,00% Prozentzahlen gerundet privat mit anderen (unterstützend) , privat alleine/ privat mit anderen (nicht unterstützend) , obdachlos/unstet , in einer Institution lebend ,
Jahresbericht 2022 10 Clearing/Abklärung Im Berichtsjahr übermittelten die fünf Vorarlberger Bezirksgerichte insgesamt 771 Fälle zur Durchführung eines Clearings (oder mit der Anfrage auf direkte Übernahme) an die ifs Erwachsenenvertretung. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Steigerung um rund 15 Prozent. Eine direkte Übernahme ohne Durchführung eines Clearings erfolgte in 6 Fällen. In 28 Fällen wurde der Clearingauftrag direkt abgelehnt bzw. zurückgelegt, insbesondere da betroffene Personen zwischenzeitlich verstorben waren. Von den im Berichtsjahr insgesamt 737 durchgeführten Clearingverfahren wurden 728 mit einem Clearingbericht abgeschlossen. Somit wurden 2022 um rund 29 Prozent mehr Clearingberichte erstattet als im Jahr zuvor. Die ifs Erwachsenenvertretung konnte in 60 Fällen bzw. in 8,2 Prozent aller erledigten Clearingaufträge gleich selbst die Registrierung einer gewählten oder gesetzlichen Erwachsenenvertretung im ÖZVV vornehmen. Somit war in diesen Fällen in der Regel kein ausführlicher Clearingbericht (in Langform) notwendig, sondern ein Clearingbericht in Kurzform ausreichend. Die Einstellung des gerichtlichen Verfahrens wurde in rund 29 Prozent der abgeschlossenen Clearings – mit ausführlichem Clearingbericht oder gekürztem Clearingbericht (bei unmittelbar anschließender Registrierung durch die ifs Erwachsenenvertretung) – empfohlen. Dieses Ergebnis bestätigt deutlich, dass die Durchführung von Clearings (allenfalls mit gleich anschließender Registrierung im ÖZVV) wesentlich zu Auswertung der Dokumentation Clearing 2021 2022 Anfragen 668 771 nach Gerichten Bregenz 156 222 Bezau 21 32 Bludenz 144 152 Dornbirn 174 153 Feldkirch 172 211 anderes Gericht 1 1 Erstellte Clearingberichte 564 728 davon im Erneuerungsclearing 183 326 Registrierung aus Clearing 71 60 Beendigung / kein Verfahren 210 201 keine Krankheit 11 15 Vorsorgevollmacht möglich 2 4 keine Angelegenheiten 38 35 andere Hilfen 80 61 gesetzliche EV möglich 30 36 gewählte EV möglich 42 39 Tod 1 3 Sonstiges 6 8 Erwachsenenvertretungs-Verfahren nur Verfahren 53 53 einstweilige Erwachsenenvertretung 113 136 bestehende EV fortsetzen 162 305 Vorgeschlagene Erwachsenenvertreter:in nahestehende Person 88 131 Rechtsanwalt:anwältin/Notar:in 107 115 ifs Erwachsenenvertretung 123 225 kein Vorschlag 3 3
11 ifs Erwachsenenvertretung einer Reduktion der Zahl an gerichtlichen Erwachsenenvertretungen beiträgt. In den restlichen 71 Prozent der Fälle wurde von Seiten der ifs Erwachsenenvertretung die Fortsetzung des Verfahrens oder die Weiterführung einer bereits bestehenden gerichtlichen Erwachsenenvertretung empfohlen. In 225 Clearing-Fällen (einschließlich Erneuerungsclearings) wurde angeregt, die ifs Erwachsenenvertretung als Rechtsbeistand im Verfahren oder als gerichtliche Erwachsenenvertreterin zu bestellen, da weder eine tragfähige „Alternative“ zur gerichtlichen Erwachsenenvertretung bestand noch eine andere als Erwachsenenvertreter:in geeignete Person aus dem Kreis der Angehörigen oder Nahestehenden verfügbar war. Weiterhin wurde aus Kapazitätsgründen auf die Abgrenzung gegenüber Angehörigen und Nahestehenden sowie gegenüber Rechtsanwält:innen und Notar:innen geachtet. Dabei blieb der Anteil der als gerichtliche Erwachsenenvertreter:innen empfohlenen Angehörigen/Nahestehenden im Vergleich zum Vorjahr mit rund 28 Prozent der Fälle nahezu unverändert, während der Anteil der Rechtsanwält:innen/Notar:innen auf rund 24 Prozent sank und jener der ifs Erwachsenenvertretung sich auf rund 48 Prozent erhöhte. Bereits bestehende gerichtliche Erwachsenenvertretungen wurden in 352 Fällen abgeklärt, davon 326 im Erneuerungsverfahren. Somit stiegen die Erneuerungsclearings um rund 78 Prozent an. Im Erneuerungsverfahren wird insbesondere geprüft, ob die jeweilige gerichtliche Erwachsenenvertretung tatsächlich noch notwendig ist, ob stattdessen eine gewählte oder gesetzliche Erwachsenenvertretung registriert werden kann oder wer allenfalls die jeweilige Erwachsenenvertretung übernehmen könnte. In rund 13 Prozent dieser Fälle wurde nach dem Erneuerungsclearing die Beendigung einer (bestehenden) gerichtlichen Erwachsenenvertretung angeregt. Erfreulicherweise stimmten die Entscheidungen der Pflegschaftsrichter:innen der fünf Vorarlberger Bezirksgerichte weiterhin in hohem Maße mit den Empfehlungen der ifs Erwachsenenvertretung in den Clearingberichten überein. Registrierung im ÖZVV Die ifs Erwachsenenvertretung als Erwachsenenschutzverein für Vorarlberg zählt zu jenen Institutionen, die zur Registrierung im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis berechtigt sind. Im Berichtsjahr wurden insgesamt 315 Registrierungen – um rund 4 Prozent weniger als im Jahr zuvor – vorgenommen: Registriert wurde die Errichtung von 19 Vorsorgevollmachten, 73 gewählten und 188 gesetzlichen Erwachsenenvertretungen. Somit war die im Sinne der Selbstbestimmung besonders wünschenswerte Registrierung einer gewählten Erwachsenenvertretung in rund 28 Prozent aller bei der ifs Erwachsenenvertretung errichteten Erwachsenenvertretungen möglich. Errichtung gewählte EV Errichtung gesetzliche EV Übersicht der Registrierungen im ÖZVV 2021 2022 Errichtung gewählte EV 101 36,73% 73 27,97% Errichtung gesetzliche EV 174 63,27% 188 72,03% positive EV-Verfügung 2 - 1 - negative EV-Verfügung 1 - 0 - Errichtung Vorsorgevollmacht 19 - 19 - Registrierungen insgesamt 328 - 315 - Prozentzahlen gerundet
Jahresbericht 2022 12 Beratungen, Vorträge und Schulungen Damit die Einrichtung einer Erwachsenenvertretung nur in unbedingt notwendigen Fällen erfolgt, werden psychosoziale Einrichtungen und Angehörige mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit über die Erwachsenenvertretung sowie deren Alternativen aufgeklärt. Beratungen Im Jahr 2022 wurden insgesamt 877 Beratungen dokumentiert. Somit ist deren Anzahl im Vergleich zum Vorjahr um rund 14 Prozent zurückgegangen. Die trotzdem beachtliche Anzahl an Beratungen erklärt sich aus der Funktion der ifs Erwachsenenvertretung im obligatorischen Bestellungsclearing und als Registrierungsstelle. Dank dieser beiden Aufgaben erreicht die ifs Erwachsenenvertretung eine sehr hohe Anzahl künftiger Erwachsenenvertreter:innen aus dem Kreis der Angehörigen und Nahestehenden, die sich bei Fragen in der anschließenden Führung von Erwachsenenvertretungen wieder an die ihnen bereits bekannten Mitarbeiter:innen der ifs Erwachsenenvertretung wenden. Vorträge 2022 fanden drei Vorträge statt, in denen die ifs Erwachsenenvertretung über die Themen Vorsorgevollmacht, gewählte/gesetzliche/gerichtliche Erwachsenenvertretung sowie ganz allgemein über das Erwachsenenschutzgesetz informierte. Schulungen Der Kurs „Anleitung für Erwachsenenvertreter:innen“ wird seit 1999 angeboten. In dessen Rahmen vermitteln Referent:innen der ifs Erwachsenenvertretung Kenntnisse zu den Themen „Rechtliche Grundlagen“ und „Praxisanleitung“. Dabei richtet sich dieses Angebot insbesondere an gewählte/gesetzliche/gerichtliche Erwachsenenvertreter:innen aus dem Kreis der Angehörigen und Nahestehenden. Im Frühjahr 2022 fand der Kurs an je zwei Abenden in Bregenz und Feldkirch – somit an insgesamt vier Kursabenden – statt. In diesem Rahmen wurde Wissen an insgesamt 13 Personen weitergegeben. Fachaufsicht/Regionalleitung Ein wesentliches Instrument zur Sicherstellung der Fachlichkeit stellt im Tätigkeitsfeld „Erwachsenenvertretung-Classic“ die ifs-interne Kontrolle der Pflegschaftsberichte im Sinne eines qualifizierten VierAugen-Prinzips dar. Die zuständige Regionalleitung kontrolliert die Pflegschaftsberichte und damit die interne Rechnungslegung der hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen. Die Funktion der Regionalleitung wird aktuell für Bregenz von Mag. Gertrud Dünser, jene für Dornbirn von Dr. Mai Salzmann, jene für Feldkirch von Philipp Hanschitz, BA, und jene für Bludenz von Mag. Michaela Reiner wahrgenommen. Um den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) zur Personensorge, der Intention der UN-Behindertenrechtskonvention sowie dem Erwachsenenschutzgesetz gerecht zu werden, enthält die Schreibvorlage „Pflegschaftsbericht“ im Kapitel „Lebenssituationsbericht“ folgende Unterpunkte: - Häufigkeit bzw. Intervalle der persönlichen und telefonischen Kontakte - Ziele und Planung - Alternativen zur gerichtlichen Erwachsenenvertretung bzw. Notwendigkeit der Vereins-Erwachsenenvertretung Übersicht Beratungen 2013 bis 2022
13 ifs Erwachsenenvertretung - Notwendigkeit eines Genehmigungsvorbehalts Obwohl die ifs Erwachsenenvertretung nunmehr in vielen Fällen von der laufenden Rechnungslegung gegenüber dem Gericht befreit ist, übermittelt sie dem Gericht mit dem „Pflegschaftsbericht“ nach wie vor – ohne gesetzliche Verpflichtung – in jedem Fall auch einen „Vermögensbericht“; dies mit dem Ziel der Herstellung von Transparenz. Die von der ifs Erwachsenenvertretung im Rahmen der „Erwachsenenvertretung-Classic“ vertretenen Klient:innen werden auf die Beschwerdemöglichkeiten hingewiesen, indem sie direkte und schriftliche Informationen erhalten, dass in ihrer Sache bestimmte ehrenamtliche oder hauptberufliche Mitarbeiter:innen für die ifs Erwachsenenvertretung tätig sind. Damit soll die Möglichkeit eröffnet werden, bei Bedarf ein Gespräch mit der jeweils vorgesetzten Person zu suchen. Jahresschwerpunkte Erneuerungsverfahren bei „alten Sachwalterschaften“ Das Erwachsenenschutzgesetz sieht in den Übergangsbestimmungen vor, dass das Gericht bei allen am Stichtag 30. Juni 2018 bestehenden Sachwalterschaften spätestens bis 31. Dezember 2023 das Erneuerungsverfahren eröffnen muss. In all diesen Erneuerungsverfahren haben die Erwachsenenschutzvereine ein Erneuerungs-Clearing durchzuführen. Die ifs Erwachsenenvertretung steht somit vor der großen Aufgabe, neben laufenden Clearingverfahren auch in all diesen „alten Sachwalterschaften“ – per 1. Juli 2018 bestanden in Vorarlberg insgesamt 1.980 solcher Sachwalterschaften – ein ErneuerungsClearing durchzuführen. Um diese umfangreiche Aufgabe bewältigen zu können, hat der Gesetzgeber den Erwachsenenschutzvereinen mit der Vorgabe der Erneuerung bis 31. Dezember 2023 eine großzügige Frist von fünfeinhalb Jahren eingeräumt. Dementsprechend war das Jahr 2022 für die ifs Erwachsenenvertretung auch mit einer signifikant gestiegenen Zahl von Erneuerungs-Clearings verbunden – von 183 Clearingberichten im Erneuerungsverfahren im Jahre 2021 auf 326 im Jahre 2022. Ressourcen Um die durch das Erwachsenenschutzgesetz festgelegten Aufgaben der Erwachsenenschutz-Vereine zu erfüllen, sind entsprechende finanzielle Mittel erforderlich. Mit den dem Justizministerium für die ifs Erwachsenenvertretung zur Verfügung stehenden Mitteln ist es aber leider nicht möglich, ausreichend Personal einzustellen, um die vorgesehenen Aufgaben vollumfänglich umzusetzen. So konnte die Errichtung und Registrierung von Vorsorgevollmachten im Jahr 2022 aus Kapazitätsgründen nur in relativ geringem Umfang erfolgen. Die signifikant steigende Zahl von Erneuerungsverfahren – insbesondere für die mit 31.12.2023 befristeten „alten Sachwalterschaften“ – bindet die Kapazitäten der ifs Erwachsenenvertretung, sodass die bisher gewohnte Bedarfsdeckung bei der Übernahme von Erwachsenenvertretungen nur noch mit großer Anstrengung aufrechtzuerhalten ist.
Jahresbericht 2022 14 Ehrung langjähriger ehrenamtlicher ifs Vereins-Erwachsenenvertreter:innen Zum traditionellen Herbstfest der ifs Erwachsenenvertretung, in dessen Rahmen die ehrenamtlichen ifs Vereins-Erwachsenenvertreter:innen für ihr Engagement gewürdigt werden, durften Landtagsabgeordneter Johannes Gasser, BA, Bakk., MSc, Vereinsobfrau und ifs Geschäftsführerin Dr. Martina Gasser und der Leiter der ifs Erwachsenenvertretung Mag. Günter Nägele am 16. September 2022 insgesamt 98 Personen begrüßen. Nach einer Führung durch die Stadt Hohenems bot ein gemeinsames Abendessen im Löwensaal Hohenems den geeigneten Rahmen, um den zahlreichen ehrenamtlichen ifs Vereins-Erwachsenenvertreter:innen für deren Einsatz zu danken. Ein besonderer Dank gilt für 10 Jahre Engagement: Alfons Bechter, Peter Gerstgrasser, Hugo Hechenberger, Günter Kennerknecht, Aranka Krall, Reinhard Mäser und Elisabeth Rainer für 15 Jahre Engagement: Josef Breuß, Elisabeth Jetzinger, Monika Pichler, Anita Pointner und Hemma Robinig für 20 Jahre Engagement: Werner Jenny, Hartwig Längle, Edith Okoro-Schreiner und Erich Spalt für 25 Jahre Engagement: Margrit König und Theresia Tauber für 30 Jahre Engagement: Wolfgang Breuss Für 35 Jahre Engagement: Christa Thurnher Johannes Gasser, Martina Gasser und Günter Nägele überreichten den Jubilar:innen eine kleine Anerkennung. ○ Mag. Günter Nägele Leiter ifs Erwachsenenvertretung
15 ifs Patientenanwaltschaft Allgemeines Die persönliche Freiheit ist ein Grundrecht eines jeden Menschen, das durch das Verfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit und durch das Unterbringungsgesetz besonders geschützt ist. Laut UNBehindertenrechtskonvention sind alle Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig, unteilbar sowie miteinander verknüpft und auch Menschen mit Beeinträchtigung muss der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne jegliche Diskriminierung garantiert werden. Beschränkungen der persönlichen Freiheit und der Persönlichkeitsrechte sind deshalb im psychiatrischen Krankenhaus nur zulässig, wenn eine akute psychische Erkrankung vorliegt, eine ernste und erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung gegeben ist und andere Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten nicht ifs Patientenanwaltschaft AufRecht durch die Krise
Jahresbericht 2022 16 mehr angewendet werden können. Das psychiatrische Krankenhaus ist verpflichtet, sich an diese Vorgaben zu halten, und muss die Anwendung von Beschränkungen und Zwangsmaßnahmen unverzüglich dem Gericht melden sowie die ifs Patientenanwaltschaft informieren. Darüber hinaus wird das Bezirksgericht beauftragt, ein Überprüfungsverfahren zur Kontrolle der Notwendigkeit der Freiheitsbeschränkungen durchzuführen. In diesem Verfahren übernimmt die ifs Patientenanwaltschaft die parteiliche Vertretung der Patientinnen und Patienten. Des Weiteren setzen sich die ifs Patientenanwält:innen direkt vor Ort im psychiatrischen Krankenhaus für die Rechte der Patient:innen ein, indem sie für gelindere Maßnahmen eintreten und deren Selbstbestimmung soweit wie möglich stärken. Daten und Fakten – Auswertung der Dokumentation Im Jahr 2022 vertrat die ifs Patientenanwaltschaft insgesamt 1.331 Patient:innen im Unterbringungsverfahren (1.289 neue Unterbringungszahlen plus 42 untergebrachte Patient:innen aus 2021), was im Vergleich zu 2021 einer deutlichen Steigerung um 20 Prozent entspricht. Bei den Unterbringungen pro Person fällt auf, dass die einmaligen Unterbringungen pro Jahr um 13,5 Prozent und die Mehrfachunterbringungen um 6,5 Prozent angestiegen sind. Tage Tage Tage bis Tage Tag Tage Tage Tage bis Monat bis Monate bis Jahr Dauer der Unterbringung Anzahl der Unterbringungen pro Person 2018 2019 2020 2021 2022 1 662 612 578 578 656 2 114 110 129 106 119 3 32 31 34 33 42 4 12 12 14 8 11 5 6 7 6 10 12 mehr als 5 9 12 5 7 16 Anzahl der Unterbringungen 2018 2019 2020 2021 2022 (01.01. bis 31.12.) 1.178 1.160 1.103 1.067 1.289 Gerichtstermine 2018 2019 2020 2021 2022 Erstanhörung 757 699 734 664 715 Tagsatzung 347 326 290 277 312 Gerichtstermine gesamt 1.104 1.025 1.024 941 1.027 Anzahl beantragter Verlängerungen 2018 2019 2020 2021 2022 47 53 40 27 33 in Prozent zur Gesamtzahl an UB 4% 4,5% 3,6% 2,5% 2,5%
17 ifs Patientenanwaltschaft Dauer der Unterbringung Die Tendenz zu kurzen Unterbringungen setzte sich im Jahr 2022 weiter fort. Wurden im Jahr 2021 noch 42 Prozent der Unterbringungen nach vier Tagen aufgehoben, stieg die Aufhebungsrate 2022 nach vier Tagen auf über 50 Prozent (2002 waren es lediglich 23 Prozent). Wie in den beiden Jahren zuvor wurden die Unterbringungen sukzessive aufgehoben, sodass nach 18 Tagen nur noch 20 Prozent weiter untergebracht waren. Gerichtstermine Die beschriebene Entwicklung führte auch zu einem weiteren Rückgang an Gerichtsterminen. Im Vergleich zu den gestiegenen Unterbringungszahlen fanden im Jahr 2022 um 8,5 Prozent weniger Gerichtstermine (Erstanhörungen und Tagsatzungen) als 2021 statt. Die erste Überprüfung der Unterbringung (Erstanhörung) nach spätestens vier Tagen wurde bei 55 Prozent der untergebrachten Patient:innen durchgeführt, das sind um 7 Prozent weniger als 2021 und um 11 Prozent weniger als 2020. Eine ausführliche Prüfung der Unterbringung nach 14 Tagen mit Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im Rahmen einer sogenannten Tagsatzung musste nur noch bei 24 Prozent der Patient:innen abgehalten werden. Die Gründe für die kurze Unterbringungsdauer und den Rückgang an Gerichtsterminen sind laut Einschätzung der ifs Patientenanwält:innen vielschichtig: Als einer der Gründe kann die rasche Aufhebungspraxis der Fachärzt:innen angeführt werden. Diese hoben die Unterbringung von sich aus auf, sobald die Voraussetzungen weggefallen waren. Des Weiteren erklärten sich viele Patient:innen mit einem freiwilligen Aufenthalt einverstanden, da keine freien Plätze in betreuten Wohnformen verfügbar waren und somit faktisch keine Alternative zum stationären Aufenthalt gegeben war. Einen weiteren Grund stellte die Ressourcenknappheit mit fehlenden Belegmöglichkeiten in allen drei Abteilungen dar. Aufgrund des Personalmangels konnten Anfang 2023 ca. 50 Betten nicht belegt werden, was dazu führte, dass viele Unterbringungen rasch aufgehoben und die Patient:innen entlassen wurden oder aufgrund des Bettenmangels erst gar nicht aufgenommen werden konnten. Verlängerung der Unterbringung Eine Verlängerung der Unterbringung wurde unverändert selten durchgeführt. Im Jahr 2022 beantragte das Landeskrankenhaus Rankweil insgesamt 33 Verlängerungen (2,5 Prozent der Gesamtzahl der Unterbringungen). Manche der Patient:innen erhielten fälschlicherweise eine neue Unterbringungszahl, das heißt, dass die tatsächliche Anzahl der Verlängerungen etwas höher war.
Jahresbericht 2022 18 Psychische Krankheit (Angaben Erstanhörung) In Bezug auf die Krankheitsbilder von untergebrachten Patient:innen konnten nur geringe Veränderungen ausgemacht werden. Die von den Fachärzt:innen bei der Unterbringungsuntersuchung oder bei der Erstanhörung am häufigsten gestellten Diagnosen waren eine „Akute Intoxikation“ (21 Prozent) und eine „Organische Störung“ (z. B. Patient:innen mit postoperativem Durchgangssyndrom) mit 20 Prozent. Die größte Steigerung konnte in den vergangenen Jahren bei der Diagnose der „Persönlichkeits-/Verhaltensstörungen“ mit einem hohen Anteil am Borderline Typ beobachtet werden (im Jahr 2019 wurde diese Diagnose lediglich 67 Mal gestellt). Manische Episode Delir Entzugssyndrom Amnestisches (Korsakov) Syndrom Depressive Episode Wahnha e Störung Akute psychotische Störung Schizoaffektive Psychose Organische Störung Verhaltensauffälligikeiten (Essstörungen) , Versch. Formen der Demenz Störungen durch psychotrope Substanzen Akute Intoxikation Schizophrene Psychose Persönlichkeitsstörung/ Verhaltensstörung Störung des Sozialverhaltens & der Gefühle 2% Intelligenzminderung 3% Entwicklungsstörung 0,5 % Prozentzahlen gerundet Psychische Krankheit Psychische Krankheit (Angaben Erstanhörung) 2022 Organische Störung 272 20% Verschiedene Formen der Demenz 228 17% Delir 46 3% Störung durch psychotrope Substanzen 172 13% Akute Intoxikation 280 21% Entzugssyndrom 19 1% Amnestisches (Korsakov) Syndrom 12 1% Schizophrene Psychose 129 10% Wahnhafte Störung 21 2% Akute psychotische Störung 205 15% Schizoaffektive Psychose 125 9% Manische Episode 56 4% Depressive Episode 73 5% Verhaltensauffälligkeiten (Essstörungen) 8 0,6% Persönlichkeits-/Verhaltensstörung 151 11% Intelligenzminderung 41 3% Entwicklungsstörung 6 0,5% Störung des Sozialverhaltens & der Gefühle 27 2% Mehrfachnennungen möglich, Prozentzahlen gerundet
19 Altersstruktur Die Unterbringungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stiegen im Jahr 2022 wieder leicht an: 62 Unterbringungen im Jahr 2022 im Vergleich zu 55 Unterbringungen im Jahr 2021. Die auffälligste Veränderung gab es im Alterssegment zwischen 18 und 40 Jahren mit einer erheblichen Steigerung der Unterbringungen um 34 Prozent (371 Patient:innen im Jahr 2021 im Vergleich zu 498 Patient:innen im Jahr 2022). Im Alterssegment ab 71 Jahren veränderte sich die Gesamtzahl an Unterbringungen hingegen nicht. Soziale Situation vor der Unterbringung Wie in den Jahren zuvor wurden die Patient:innen am häufigsten vom allgemeinen Krankenhaus zugewiesen, wobei die meisten davon anschließend auf den gerontopsychiatrischen Stationen weiterbehandelt wurden. Patient:innen aus einer betreuten Wohnform wurden hingegen weniger oft zugewiesen und anschließend untergebracht, was durchaus dahingehend interpretiert werden kann, dass in den betreuten Wohnformen gute Arbeit geleistet wird, indem auftretende Krisen möglichst in der Einrichtung selbst aufgefangen werden. Soziale Situation vor der Unterbringung 2021 2022 Keine Betreuung 212 20% 228 18% Betreuung durch nahestehende Person(en) 180 17% 151 12% Arzt:Ärztin für Allgemeinmedizin 59 5% 59 4,5% Facharzt:ärztin 86 8% 104 8% Ambulanter Fachdienst 172 16% 170 13% Alters-/Pflegeheim 65 6% 65 5% Allgemeines Krankenhaus 226 21% 271 21% Betreute Wohnform 62 6% 42 3% Freiwilliger Aufenthalt 148 14% 158 12% Mehrfachnennungen möglich, Prozentzahlen gerundet Facharzt:ärztin Allgemeines Krankenhaus Betreute Wohnform Ambulanter Fachdienst Keine Betreuung Betreuung durch nahestehende Person(en) Arzt:Ärztin für Allgemeinmedizin , Alters-/Pflegeheim Freiwilliger Aufenthalt Prozentzahlen gerundet Betreuungssituation vor der Unterbringung ifs Patientenanwaltschaft bis Jahre , bis Jahre bis Jahre , bis Jahre , bis Jahre , bis Jahre bis Jahre , bis Jahre , über Jahre Altersstruktur Prozentzahlen gerundet
Jahresbericht 2022 20 Zuweisungen Die aktuelle „Poolärztelösung“ funktioniert in der Praxis weiterhin sehr gut. Im Berichtsjahr 2022 wurden 34 Prozent der untergebrachten Patient:innen von einem:einer im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt:Ärztin mit Bescheinigung gem. § 8 UbG eingewiesen. Die Ärzt:innen sind rund um die Uhr erreichbar und können die Untersuchungen bzw. persönlichen Gespräche mit den Patient:innen meist unmittelbar vor Ort durchführen. Nach wie vor kamen viele der untergebrachten Patient:innen ohne Bescheinigung zur Aufnahme (Sonstige Einweisung), obwohl sie nicht Beratungen 2020 2021 2022 Allgemeine Fragen über Aufenthalt im Krankenhaus, Unterbringung 53 59 55 Beratung Erwachsenenvertretung, Vorsorgevollmacht 24 20 5 Beratung Maßnahmenvollzug 43 31 9 Beratung nicht untergebrachter Patient:innen („Freiwilliger Aufenthalt“) 9 8 12 Beratung Behandlungsfragen, Patientenverfügung 9 3 0 Beschwerde Landesverwaltungsgericht 0 0 2 Gesamt 138 121 83 Zuweisung 2020 2021 2022 Freiwillig 216 20% 190 18% 240 19% Justizwache 3 <1% 4 <1% 5 <1% Einweisung durch im öffentlichen Sanitätsdienst stehende:n Arzt:Ärztin 330 30% 322 30% 455 35% Polizei (Gefahr in Verzug) 11 1% 8 1% 17 1,3% Sonstige Einweisung 404 37% 429 40% 504 39% Nicht bekannt 71 6% 84 8% 59 5% Prozentzahlen gerundet Sonstige Einweisung Freiwillig Einweisung Arzt:Ärztin im öffentlichen Sanitätsdienst Nicht bekannt Polizei (Gefahr in Verzug) , Justizwache < Prozentzahlen gerundet Zuweisungen
21 ifs Patientenanwaltschaft in der Lage waren, über ihre Zu- oder Einweisung selbst zu entscheiden (fehlende Entscheidungsfähigkeit) oder sich nicht aktiv gegen eine Einweisung zur Wehr gesetzt hatten. In der Praxis waren dies überwiegend Zuweisungen vom allgemeinen Krankenhaus in Begleitung der Rettung, vielfach ohne vorher die Patient:innen und/oder Angehörigen über die geplante Zuweisung ins psychiatrische Krankenhaus zu informieren. Oder die Patient:innen kamen in Begleitung der Angehörigen. Erfreulich ist der nach wie vor geringe Anteil an Einweisungen bei Gefahr in Verzug. Im Jahr 2022 wurden lediglich 17 Patient:innen ohne ärztliche Bescheinigung durch die Polizei direkt ins LKH Rankweil eingewiesen. Dokumentation der Beratungen Im Jahr 2022 führte die ifs Patien- tenanwaltschaft insgesamt 83 Beratungen und Vertretungen von nicht untergebrachten Patient:innen durch. Die meisten Beratungen erfolgten zu allgemeinen Fragen über den Aufenthalt im Krankenhaus und zur Unterbringung. Durchführung der Gerichtstermine im Unterbringungsverfahren Die Gerichtstermine im LKH Rankweil wurden trotz der auch 2022 anhaltenden Corona-Pandemie überwiegend persönlich im Beisein aller involvierten Personen – der Patient:innen, des:der behandelnden Facharztes:ärztin, des:der Patientenanwalts:anwältin sowie des:der Sachverständigen – durchgeführt. Auch bei positiv auf das Coronavirus getesteten Patient:innen wurden diese nach Überziehen der Schutzbekleidung im Zimmer aufgesucht, wodurch ein persönliches Gespräch möglich war. Aufgrund einer Elternkarenz der zuständigen Richterin MMag. Dr. Christina Talasz erfolgte im Jahr 2022 erneut eine Neubesetzung des Unterbringungsgerichts. Für das Unterbringungsverfahren zuständig sind nun abwechselnd im 14-tägigen Rhythmus Dr. Jennifer Schranz und Mag. Hansjörg Ghetta. Auszugsweise wird im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der im Berichtsjahr 2022 ergangenen Entscheidungen des Unterbringungs- gerichts angeführt: - Die Aufrechterhaltung einer Raumbeschränkung mit Versperren der Zimmertüre für weitere drei Tage trotz Symptomfreiheit und eines CT-Wertes von 31,94 wurde für unzulässig erklärt. Die Aufrechterhaltung der Zimmerisolierung war damit begründet worden, dass die an Corona erkrankte Patientin nicht in der Lage gewesen sei, die aktuell unumgänglichen Hygienemaßnahmen einzuhalten, was eine Infektionsgefahr für das Personal darstellen würde. Außerdem könne ein Abfallen des CT-Wertes im Verlauf nicht ausgeschlossen werden, weswegen eine Verlegung der
Jahresbericht 2022 22 Patientin auf eine andere Station andere Patient:innen gefährden könne. In der Entscheidung des Gerichts wurde der Sachverhalt dahingehend rechtlich beurteilt, dass Beschränkungen der Freiheitsrechte aufgrund von räumlichen wie personellen Gegebenheiten nicht gerechtfertigt werden können. Es wäre einerseits durch mehr Personal und andererseits durch eine Vollbesetzung sämtlicher möglicher Stationen, insbesondere der Station F0, denkbar gewesen, taugliche Alternativen zu einer Isolierung einer bereits wieder „genesenen Patientin“ anzuwenden. - Eine Fünfpunktfixierung einer Patientin wurde für unzulässig erklärt, da keine unverzügliche Mitteilung der Beschränkung an die ifs Patientenanwaltschaft erfolgt war und auch keine schriftliche ärztliche Anordnung in der Krankengeschichte erfasst wurde. - Ebenfalls aufgrund von mehrfachen Verzögerungen bei der Verständigung der Mitteilung von weitergehenden Beschränkungen (einmal ca. elf Stunden) wurden zwei Fünfpunktfixierungen für unzulässig erklärt. - Die Freiheitsbeschränkung durch Absperren der Stationstüre wurde bei einer „freiwilligen“ Patientin für unzulässig erklärt. Die Patientin befand sich in freiwilliger stationärer Behandlung auf der Station E1. Durch das Absperren der Station wurde die Patientin daran gehindert, die Station zu verlassen. Da die Patientin nicht untergebracht war, fehlte eine rechtliche Grundlage für die Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit. - Mehrere Unzulässigkeitserklärungen von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ergingen aufgrund nicht rechtzeitig durchgeführter Verlängerungen der Unterbringung. Die Patient:innen wurden, obwohl die Unterbringung bereits ausgelaufen war, weiter in ihrer Freiheit beschränkt, beispielsweise durch das Tragen einer elektronischen Fußfessel/eines Weglaufschutzes, durch weiterhin durchgeführte Fixierungsmaßnahmen oder eine Fortsetzung einer Raumisolierung für einen Zeitraum von drei Tagen. - Auch das Vorenthalten bzw. die Wegnahme eines Hörgerätes einer Patientin wurde für unzulässig erklärt. Vertretung der im UbG gesetzlich geregelten Patientenrechte Die Unterstützung und Vertretung der Patient:innen bei der Durchsetzung der Patientenrechte wird als der zentrale Aufgabenbereich der ifs Patientenanwaltschaft erachtet. Durch Information und Gespräche versuchen die Patientenanwält:innen, die Patient:innen in ihrer Selbstbestimmung zu stärken. Sie unterstützen sie in ihren Anliegen gegenüber dem psychiatrischen Krankenhaus und vertreten ihre Rechte beim gerichtlichen Überprüfungsverfahren. Vertretung bei Beschränkungen der Bewegungsfreiheit gem. § 33 UbG Einer der wichtigsten außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretungsbereiche ist die Vertretung der Patient:innen bei weitergehenden Beschränkungen wie Fixierungen im Bett, Sitzgurtfixierungen im Rollstuhl in der Gerontopsychiatrie oder auch Raumbeschränkungen im Zimmer, zumal die Patient:innen diese Beschränkungen als massive Beeinträchtigung erleben. Im Jahr 2022 stellte die ifs Patientenanwaltschaft insgesamt 14 Anträge auf Prüfung der Zulässigkeit bei Gericht und führte insgesamt 41 außergerichtliche Vertretungs- und Vermittlungstätigkeiten aus, wie das Nachfragen bezüglich der Gründe der Beschränkungsmaßnahmen, bezüglich der Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine möglichst rasche Beendigung oder das Fragen nach Alternativen. Ein Auszug der ergangenen Entscheidungen sind in vorangehendem Abschnitt „Durchführung der Gerichtstermine im Unterbringungsverfahren“ zu finden. Vertretung bei Behandlungsfragen Im Berichtsjahr wurde die medikamentöse Behandlung von den Patient:innen selbst nur wenig thematisiert, da deren Anliegen von den behandelnden Ärzt:innen überwiegend berücksichtigt wurden. Aus diesem Grund stellte die ifs Patientenanwaltschaft 2022 nur vier Anträge auf Überprüfung von einfachen Heilbehandlungen beim Unterbringungsgericht. In sieben Fällen setzten sich die ifs Patientenanwält:innen bei einfachen Heilbehandlungen außergerichtlich durch Vertretung und Vermittlung für die Anliegen der Patient:innen ein.
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