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Jahresbericht 2021 32 33 beschäftigt, den Leitungsübergang möglichst gut zu meistern. Bis Mai und erneut ab Ende November sahen sich die Bewohnervertreter:innen gezwungen, den internen Austausch über Zoom zu bewerkstelligen. Nach der Rückkehr einer Kollegin aus der Elternkarenz ist das Team seit Sep- tember wieder vollständig. Interessante Entscheidungen Vorarlberger Gerichte Eine Pflegeheim-Bewohnerin mit fortgeschrittener Parkinson-Erkran- kung musste gelagert werden und wurde bei zwei Besuchen der Bewoh- nervertretung aufgrund einer ande- ren gemeldeten Freiheitsbeschrän- kung reglos im Bett angetroffen. Die Bettseitenteile waren jedes Mal hochgezogen. Bei der erstmaligen Nachfrage wurden diese umgehend gesenkt. Beim zweiten Besuch argu- mentierte die Einrichtungsleitung mit der Schrägstellung der Bettsei- tenteile, ihrer Ansicht nach handelte es sich dabei um keine Freiheitsbe- schränkung. Im Fußbereich ragten die schräg gestellten Bettseitenteile bei diesem Besuch – ein wenig – über die Matratze, die Liegefläche er- schien ebenfalls schräg und oben er- höht. Weil die Gefährdung durch den Zustand der Frau insgesamt fraglich war, folgte ein Antrag auf Überprü- fung beim zuständigen Bezirksge- richt. Im Verfahren konnte sach- verständig dargelegt werden, dass der Einsatz des Bettgitters durch gelindere Maßnahmen abgewendet werden könnte. Auch wurde ausge- führt, dass ein schräggestelltes Bett- gitter dann eine freiheitsbeschrän- kende Maßnahme darstellt, wenn Bewohner:innen nicht wahrnehmen können, dass das Bett in der unteren Hälfte verlassen werden kann. Das Gericht fasste den Beschluss, dass das Bettgitter unzulässig war, da die Gefährdung nicht gegeben war. Zudem war die Maßnahme aufgrund der fehlenden Meldung auch formal unzulässig. In einem Pflegeheim wurde der Be- wohnervertretung eine freiheitsbe- schränkende Maßnahme einer neu aufgenommenen Bewohnerin gemel- det. Die u. a. an Demenz erkrankte Frau war der Bewohnervertretung bekannt, da sie kurz zuvor in einer Krankenanstalt aufgrund freiheits- beschränkender Maßnahmen be- sucht wurde. Dort wurde die Gefahr einer ernstlichen und erheblichen Verletzung durch Sturz mit „bett- flüchtig“ begründet. Sie sei, ohne mo- bil zu sein, ständig aufgestanden. Auch im Pflegeheim erhielt die Bewohnerin Bettgitter. Zusätzlich wurde sie in ein Niedrigbett, vor dem eine ca. 20 cm dicke Sturzma- tratze samt Alarmmatte platziert worden war, gelegt. Die Bewohnerin wurde als außerordentlich ängst- lich beschrieben und äußerte diese Angst gemäß des Pflegeberichts auch. Da kein Stehimpuls vorhan- den war, wurde sie mit dem Heber in den Lehnstuhl oder Ohrensessel mobilisiert und zeigte auch dabei große Angst und klammerte sich fest. Die Bettseitenteile wurden im Rahmen mehrerer Gespräche mit der Bewohnervertretung als thera- peutisch notwendige Maßnahme erklärt. Die Bewohnerin bewegte sich wenig, rutschte aber doch im Bett umher. Das Pflegepersonal gab an, dass sie nach Begrenzungen suche. Sie müsse diese spüren und fühle sich mit den Bettgittern siche- rer. Lagerungspolster würden keine Abhilfe schaffen, da diese von ihr aus dem Bett gestreift würden. Die Bewohnervertretung beantragte die Überprüfung der Bettseitenteile, da sie die Gefahr einer erheblichen Ver- letzung durch einen im Pflegebericht dokumentierten Überkletterversuch der Bewohnerin verwirklicht sah. Weitere Versuche konnten nach Auskunft des Pflegepersonals nicht ausgeschlossen werden, dem wurde mit der Matratze vor dem Bett samt Alarmmatte Rechnung getragen. Zur Überraschung der Bewohnervertre- tung wies das Gericht den Antrag mit der Begründung ab, dass bei der Bewohnerin keine willkürlichen Be- wegungen vorlägen und sie auch kei- nen entsprechenden Willen kundtun könne. Der im Pflegebericht doku- mentierte Überkletterversuch wurde in der Verhandlung als Fehlereintrag gewertet. Es folgte ein (außerordentlicher) Re- kurs der Bewohnervertretung, da die Begründung des Erstgerichts nicht mit den Eindrücken der Bewohner- vertretung und der ständigen Recht- sprechung in Einklang zu bringen war. Nach der bis dahin ergangenen Rechtsprechung kommt es nicht auf die Bildung eines (vernünftigen) Fortbewegungswillens und darauf, ob sich betroffene Bewohner:innen der Einschränkung ihrer Bewe- gungsfreiheit bewusst sind, an. Ein natürlicher oder auch krankheits- bedingter Bewegungsdrang reicht aus, um in den Schutzbereich des HeimAufG zu fallen. Nur unwillkür- liche, z. B. spastische Bewegungen und solche im Schlaf, in Bewusst- losigkeit oder in Narkose, sind bei ihrer Einschränkung nicht melde- pflichtig und unterliegen weder dem verfassungsrechtlichen Schutz der Bewegungsfreiheit noch dem An- wendungsbereich des HeimAufG. Das Landesgericht als Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und be- stätigte die Ausführungen des Erst- gerichts. Der in der Folge angerufene Oberste Gerichtshof (OGH) wies den außerordentlichen Revisionsrekurs zurück und sprach auch aus, dass die Bewohnervertretung die Aussage, dass spontane Bewegungen, die zu einer fortbewegungsähnlichen Situ- ation führen können, die Annahme ifs Bewohnervertretung der (willkürlichen) Fortbewegungs- fähigkeit rechtfertigen, nicht tätigte. Die Bewohnervertretung verwies auf eine Entscheidung, dass die für die Nichtanwendung des HeimAufG kumulativ erforderliche Vorausset- zung der Fortbewegungsunfähigkeit fehle, weil die Bewohnerin zu unwill- kürlichen Bewegungen fähig sei. Die Bewohnervertretung überging nach den Ausführungen des OGH, dass in dieser Entscheidung ausschließlich Ausführungen zur – dort nicht aus- geschlossenen – Wahrscheinlichkeit der Äußerung eines Fortbewegungs- willens getroffen wurden. Dem Einwand der Einrichtungslei- tung nach dem Verfahren, dass die Kosten einer gerichtlichen Auseinan- dersetzung in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünden, konnte nur damit begegnet werden, dass demWohl der Bewohner:innen im Rahmen der Tätigkeit der Bewohnervertretung oberste Priorität zukommt und nicht die Abwägung von Kosten und Nut- zen im Vordergrund steht. Nur durch hartnäckiges Nachfragen über Wochen hinweg erfuhr die Be- wohnervertretung von einem Fall, bei welchem Freiheitsbeschränkun- gen an einem u. a. ebenfalls an De- menz erkrankten Bewohner vorge- nommen und nicht gemeldet wurden. In einem Auszug des Pflegeberichts waren schließlich der Einsatz eines Sitzgurts, gegen den der Bewohner sich offenbar heftig wehrte, sowie Zurückhalten und Medikamen- teneinsatz bei Weglaufversuchen des Bewohners dokumentiert. Die Bewohnervertretung beantragte die Überprüfung der Maßnahmen beim zuständigen Bezirksgericht. Der Sitzgurt und das Festhalten wurden sowohl formell (wegen der Nicht-Meldung) als auch materiell für unzulässig erklärt, da nach sach- verständiger Ausführung gelindere Mittel zur Verfügung standen. Bei den in Weglaufsituationen verab- reichten Medikamenten wurden die Einträge im Pflegebericht nach den Ausführungen des Sachverständi- gen so gedeutet, dass der Bewohner diese zum Spannungsabbau erhalten habe. Daher lag keine medikamen- töse Freiheitsbeschränkung vor. Das Gericht bestätigte im Beschluss, dass nach den reinen Einträgen im Pfle- gebericht der Eindruck einer Frei- heitsbeschränkung entstanden war. Von der Bewohnervertretung wurde daher der Rekurs beim Landesgericht eingebracht. Das Landesgericht gab dem Rekurs der Bewohnervertre- tung nicht Folge und schloss sich der Ansicht des Sachverständigen in der Verhandlung des Erstgerichts an. Der Klient verstarb zwei Tage vor Einlan- gen des Beschlusses des Landesge-

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