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Jahresbericht 2021 34 richts, der Gang zum OGH hätte ihm daher nichts mehr genützt. Für zwei Bewohner:innen einer Behinderteneinrichtung stellte die Bewohnervertretung Anträge auf Überprüfung von gemeldeten Frei- heitsbeschränkungen durch eine:n Sachverständige:n an das zuständige Bezirksgericht. Die Tür der Einrichtung war ständig aufgrund eines der beiden Betroffe- nen versperrt. Diese Maßnahme war der Bewohnervertretung gemeldet worden. Ein alternativer Ausgang für die mitbetroffene Bewohnerin war nicht vorhanden, eine Gefähr- dung für sie zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Eine Änderung des Schließsystems für die Bewohnerin wurde allein nicht als ausreichende Lösung betrachtet, da sie aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen die Tür nur erschwert selbst hätte öffnen können. Eine Türschwelle erschwerte das Verlassen des Hauses zusätzlich. Bei Überwinden dieser Schwelle wäre die Bewohnerin auf eine etwas steiler ausgeführte Rampe, die in die vorbeiführende – stark befahrene – Straße mündet, gelangt. Sie war daher beim Ver- lassen des Hauses stets auf fremde Hilfe angewiesen. Der Antrag der Bewohnervertretung umfasste die Überprüfung der Maßnahme ver- schlossene Tür und fehlende Barrie- refreiheit als Freiheitsbeschränkung. Das Gericht bestellte einen psychia- trischen Gutachter zur Klärung der Frage, ob die Bewohnerin in der Lage war, das Verschließen der Tür zu er- fassen und dementsprechend auch einen Willen zu bilden. Zwar wurde die Bewohnerin als eingeschränkt, aber hier ausreichend entscheidungs- fähig beurteilt. Daher und weil die Bewohnerin in der Befragung angab, kein Problem damit zu haben, jedes Mal fragen zu müssen, wenn sie die Einrichtung verlassen möchte, kam es zur Abweisung des Antrags. Bei der fehlenden Barrierefreiheit hätte zu diesem Zeitpunkt nur ein Um- zug der Bewohnerin in eine andere Einrichtung des Trägers Abhilfe schaffen können. Dies wurde von der Bewohnervertretung im Sinne der Bewohnerin nicht befürwortet. Auch für den unmittelbar durch die verschlossene Tür betroffenen Bewohner mit Autismusspekt- rumsstörung wurde ein Antrag auf Überprüfung dieser Maßnahme beantragt, ebenso wegen körperli- chen Zurückhaltens bei Verlassen der Wohnanlage. Nach Ansicht der Bewohnervertretung standen scho- nendere Maßnahmen zur Verfügung als das Zurücktragen des Bewohners bei jedem Verlassen der Wohnanlage. Die verschlossene Tür stellte außer- dem eine zusätzliche Gefahr dar, da der Bewohner versuchte, aus einem Fenster im ersten Stock ins Freie zu gelangen. Das Versperren der Haus- tür wurde vom Gericht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr als zulässig mit der Maßgabe erklärt, dass kontrol- liertes Verlassen ermöglicht wird. In der Zeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr war das Versperren unzulässig. Das Zurückhalten war mit der Maßgabe zulässig, dass zuerst Begleitung an- geboten wird. Die Einrichtung meldete Rekurs an und beantragte die Abänderung des Beschlusses, sodass ein Versperren der Tür weiterhin möglich wäre. Es wurde auch die Mangelhaftigkeit des Verfahrens eingewendet, weil keine tiefgreifende Analyse des individuel- len Krankheitsbildes des Bewohners mit Hinlauftendenz erfolgt sei. Dass die versperrte Tür am Tag unzulässig ist, wurde auch vom Landesgericht bestätigt und dem Rekurs der Ein- richtung nicht Folge gegeben. In einer Wohngemeinschaft für Min- derjährige wurde ein Neunjähriger festgehalten, da er bei Wutausbrü- chen so aggressiv wurde, dass er sei- nen ebenfalls dort lebenden elfjäh- rigen Bruder körperlich attackierte. Da der Bub noch nicht lange in der Wohngemeinschaft lebte, war davon auszugehen, dass die Maßnahme auch künftig benötigt wird, und so meldete die Einrichtungsleitung die Freiheitsbeschränkung an die Bewohnervertretung. Beim Besuch erklärte der junge Bewohner, dass er nicht festgehalten werden möchte und entschied sich für das vom Be- wohnervertreter für diesen Fall vor- gesehene und beschriebene Überprü- fungsverfahren. In der Verhandlung wurde das Festhalten für zulässig mit Auflagen erklärt. Zusätzlich trug das Gericht ein Konzept zur päda- gogisch therapeutischen Beilegung des Brüderzwists auf. Der Betroffene erklärte am Ende der Verhandlung, er möchte trotzdem nicht festgehalten werden, änderte seine Ansicht aber in einem danach geführten Gespräch mit der Bewohnervertretung, sodass kein Rekurs eingebracht wurde. Der Bewohner wechselte die Einrichtung inzwischen und wird dort weiter- hin von der Bewohnervertretung begleitet. ○ Mag. Regina Anhaus Leiterin ifs Bewohnervertretung 35 Facts Der Verein ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung wird finanziert aus Mitteln des Bundesministerium für Justiz und einem Zuschuss des Sozialfonds Vorarlberg. ifs Erwachsenen- vertretung Menschen, die mit einer kognitiven Beeinträchtigung, einer psychischen Krankheit oder Demenz leben, fällt es oft schwer, mit wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten al- leine zurechtzukommen. Erwachsenenvertreter:innen ver- treten Betroffene in finanziellen Angelegenheiten und vor Behörden, halten persönlichen Kontakt und kümmern sich bei Bedarf um die so- ziale Betreuung. Den Auftrag erteilt das jeweilige Bezirksgericht. Die ifs Erwachsenenvertretung über- nimmt die gesetzliche Vertretung, wenn keine geeigneten Angehörigen für diese Aufgabe zur Verfügung stehen. ifs Erwachsenenvertretung Dornbirn Poststraße 2/4 6850 Dornbirn Telefon 05-1755-590 Fax 05-1755-9590 erwachsenenvertretung@ifs.at ifs Erwachsenenvertretung Feldkirch Johannitergasse 6/3 6800 Feldkirch Telefon 05-1755-591 Fax 05-1755-9591 erwachsenenvertretung@ifs.at ifs Patienten­ anwaltschaft Die ifs Patientenanwaltschaft ist eine Einrichtung auf Grundlage des Unterbringungsgesetzes (UbG). Nach dem UbG ist es deren Auftrag, Patient:innen, die gegen ihren Wil- len in die Psychiatrie eingewiesen werden oder dort Zwangsmaß- nahmen unterliegen, parteilich zu vertreten. „Unterbringung“ im Sinn des Gesetzes bedeutet, dass durch ärztliche Verfügungen im Rahmen der stationären psychiatrischen Be- handlung Rechte von Patient:innen eingeschränkt werden. Ziel ist die unverzügliche Klärung der rechtli- chen Lage ohne langwieriges Akten- verfahren. Die Zwangssituation soll für die Betroffenen durch Vertretung vor Ort so rasch als möglich aufgeho- ben werden. ifs Patientenanwaltschaft Valdunastraße 16 6830 Rankweil Telefon 05522-403-4040 Fax 05522-403-6513 ifs.patientenanwaltschaft@ifs.at ifs Bewohner­ vertretung Seit Juli 2005 regelt das Heimauf- enthaltsgesetz den Umgang mit frei- heitsbeschränkenden Maßnahmen. Immer wenn im Pflegeheim, in einer Behinderteneinrichtung, im Kran- kenhaus oder in einer Einrichtung zur Pflege und Erziehung Minder- jähriger eine freiheitsbeschränkende Maßnahme angeordnet wird, muss die ifs Bewohnervertretung be- nachrichtigt werden. Gemeinsam mit dem Betreuungsteam suchen die Bewohnervertreter:innen im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit eine Lösung, die mit der Würde des Betroffenen zu vereinba- ren ist. Die ifs Bewohnervertretung ist eine unabhängige Einrichtung, deren Leistungen kostenlos sind. Vorder- gründiges Anliegen ist die Schärfung des Bewusstseins für sanfte Alter- nativen – beim Betreuungsteam, bei den Angehörigen und in der Gesellschaft. ifs Bewohnervertretung Poststraße 2/4 6850 Dornbirn Telefon 05-1755-590 Fax 05-1755-9595 bewohnervertretung@ifs.at Wissenswertes Ein Verein, drei Fachbereiche

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